Am Scheideweg


Neue Mobilitätsoptionen versprechen bedarfsgerechte, saubere Fortbewegung. Der Wandel muss mit Blick auf das Allgemeinwohl gestaltet werden.


Mai 2019



Eine Fülle neuer Entwicklungen drängt derzeit in den Mobilitätssektor: Carsharing, Bikesharing und Ridesharing, Elektroautos und -busse, E-Scooter, Autonomes Fahren und Truck-Platooning, Logistikdrohnen und Mobilitäts-Apps. All diese Neuerungen wandeln den Mobilitätssektor drastisch. Daher ist es höchste Zeit, Mobilität ganzheitlich zu denken und die Frage zu stellen: Welche Mobilität wollen wir eigentlich?

Die neuen Mobilitätslösungen haben auf der einen Seite das Potenzial, die beste aller Mobilitätswelten hervorzubringen: intermodale Fortbewegung durch Digitalisierung und Vernetzung, Ressourcenschonung durch Sharing, nahtlose Transportlösungen durch Mobility-as-a-Service. Dreh- und Angelpunkt einer bedarfsgerechten Mobilität ist das Smartphone als persönliche Navigationszentrale. Auf der anderen Seite ist auch eine Mobilitätswelt vorstellbar, die stark auf individuelle Vorteile ausgerichtet ist, dabei aber nicht dem gesellschaftlichen Wohl dient. Wenn etwa Carsharing zu erheblichen Rebound-Effekten und damit einer Zunahme von motorisiertem Individualverkehr führt oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zurückgeht, weil Menschen lieber im Robo-Taxi unterwegs sind.

Ob nun das eine oder andere Szenario Wirklichkeit werden wird, ist keinesfalls eine zwangsläufige Entwicklung. Weil Mobilität als Eckpfeiler unserer Gesellschaft wesentliche Voraussetzung für persönliche Freiheit, gesellschaftliche Teilhabe und wirtschaftlichen Fortschritt ist, gilt es die Weichen richtig zu stellen. Die Mobilitätswelt wird gerade jetzt angesichts des Wandels auf kluge politische Rahmensetzung nicht verzichten können. Denn es gilt die Einzelinitiativen zu koordinieren, um eine im Sinne des öffentlichen Interesses gestaltete Mobilität sicherzustellen.

Gerade weil Mobilität eine solch wichtige gesellschaftliche Funktion hat, kann deren Gestaltung nicht privaten, auf den Markt drängenden Mobilitätsdienstleistern überlassen werden. Die vielen Neuerungen machen ganzheitliche Konzepte nötig, die das öffentliche Interesse im Blick behalten. Der Fokus muss von der Verbesserung einzelner Verkehrsarten zur Optimierung des Gesamtsystems wandern, wobei es vielfältige Spannungen und Interessenlagen zu berücksichtigen gilt: Ist Mobilität so reibungslos verfügbar, wie es die Zukunftsszenarien ausmalen, werden Menschen dann längere Pendeldistanzen in Kauf nehmen und mehr Verkehr produzieren? Wird der öffentliche Verkehr geschwächt, wenn Autos für jedermann überall und jederzeit verfügbar sind? Wie kann gewährleistet werden, dass der ländliche Raum nicht abgehängt wird, der es vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und von fortschreitender Urbanisierung schon heute mit einer schwierigen Mobilitätssituation zu tun hat?

Vor allem selbstfahrende Autos bedeuten vollkommen neue Sicherheitsfragen. Allein schon die Bewertung, was denn exakt unter Sicherheit zu verstehen sei wirft allergrößte Probleme auf, zumal der Mensch dazu tendiert, gegenüber seinen technischen Artefakten strengere Standards anzulegen als gegenüber seinen Mitmenschen. Wie lässt sich also ein Kompromiss finden, welche Sicherheit als sicher genug gilt? Und wie wird vorgegangen, diese Sicherheit vor dem Realeinsatz dann auch unter Beweis zu stellen? Wie gelingt der Schritt von der Simulation zum Test unter realen Bedingungen und anschließend zum realen Einsatz? Darüber hinaus gilt es zu fragen: Werden wir es, sobald autonome Fahrzeuge erst einmal in großer Zahl auf den Straßen unterwegs sind, nicht mit einer vollständig neuen Verkehrsrealität zu tun haben? Werden wir nicht in eine Zukunft fahren, in der das Auto einen komplett veränderten Stellenwert innehaben wird – vom Privatfahrzeug zum „individuellen öffentlichen Verkehrsmittel“?

Schließlich wirft die Datenabhängigkeit einer zukunftsfähigen Mobilitätslösung viele ernstzunehmende Probleme auf. Weil neben die reale Mobilitätswelt der Fahrzeuge und Straßen eine informatorische Mobilitätswelt tritt, die den Komfort und die Einfachheit der intermodalen, individuellen Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln erst ermöglicht, stellen Datensicherheit und Privatheit neue große Anforderungen an den Mobilitätssektor. Zum einen wird es darum gehen, jene neuen, datenbasierten Mobilitätsangebote davor zu schützen, Ziel von Cyberattacken zu werden – mit den verschiedensten Folgen: Vom heillosen Verkehrsdurcheinander durch das Hacking von Ampelanlagen und Fahrzeugen bis hin zur „Fernsteuerung“ autonomer Fahrzeuge als Waffe sind die unterschiedlichsten Szenarien denkbar. Zum anderen wird ein geeigneter Umgang mit dem immensen Datenreichtum gefunden werden müssen, denn Mobilitätsinformationen sind sensible Daten und geben viel über uns preis: wann und wohin wir in die Arbeit fahren, mit wem wir unterwegs sind, was wir in unserer Freizeit treiben, welche Wochenendaktivitäten wir unternehmen, welche Ärzte wir wann aufsuchen und vieles mehr. Mobilitätsdaten sind auch deshalb besonders sensibel, weil sie unsere tatsächliche physische Präsenz betreffen. Wird es dereinst Praxis sein, uns nicht nur auf „maßgeschneiderten“ Routen durch das World Wide Web zu navigieren, sondern analog unsere Wege in der echten Welt zu beeinflussen? Sprich: Werden wir nicht bloß Werbung zugeschickt bekommen, sondern sogleich auf eine Reise geschickt, die an bestimmten Läden vorbeiführt?

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