City-as-a-Platform


Die moderne Stadt funktioniert wie ein Smartphone: Stets zu Diensten und beliebig durch Softwareanwendungen erweiterbar.


Februar 2018



Wo sind sie, die schlauen Städte? Als „Smart City“ trat um die Jahrtausendwende die Idee der technisch aufgerüsteten Stadt an, um Städte effizienter, komfortabler und nachhaltiger zu gestalten. Sicherlich ist mit der weiten Verbreitung von digitaler Technologie diese auch verstärkt in Städte eingezogen. Doch wird der in den allermeisten Städten erreichte Stand von „Smartness“ kaum den hochfliegenden Visionen einer „Smart City“ gerecht. Auf der anderen Seite gibt es tatsächlich einige Vorzeigeprojekte in China, Südkorea und den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo auf der grünen Wiese futuristisch anmutende Städte, vollgepackt mit innovativen Technologien aus dem Boden gestampft wurden. Wo der Verkehr störungsfrei fließt, modernste Technik Energiekonsum und Luftverschmutzung zum Wohle der Umwelt zurückfährt, Menschen von ihren smarten Wohnungen aus alles digital erledigen können, wo alles vernetzt und vermessen, sauber und reibungslos ist. Wo andererseits aber auch alles per Masterplan rund um Technik statt um den Menschen geplant ist. Diese Vorzeigestädte muten steril und leblos an, es fehlt das Durcheinander und Quirlige, das Städte lebens- und liebenswert macht.

Gegen das Künstliche, Unlebendige, das immer öfter als Kritikpunkt gegen das „Smart City“-Konzept vorgebracht wird, wendet sich das Projekt „Quayside“ in Toronto und möchte einen dezidiert anderen Weg gehen: In enger Zusammenarbeit mit der Stadtbevölkerung soll ein gesamtes Stadtviertel von Grund auf unter Berücksichtigung der neuesten digitalen Technologien umgestaltet werden. Technik soll hierbei, so die Betreiber, nicht Selbstzweck sein, sondern maßgeschneidert eingesetzt werden, um die Bedarfe vor Ort zu erfüllen. Nun ist nicht gänzlich uninteressant, wer hinter diesem Projekt steckt: In Zusammenarbeit mit der kanadischen Regierung will sich Sidewalk Labs, eine auf Technologielösungen für städtische Probleme spezialisierte Tochtergesellschaft von Alphabet, also ein Schwesterunternehmen von Google, an die Sache machen. Baubeginn könnte 2019 sein. Interessant ist dies deshalb, weil es natürlich blauäugig wäre, anzunehmen, dass es bei einem Schwesterunternehmen von Google anders sein könnte, als dass Daten im Mittelpunkt des Projekts stünden. Tatsächlich ist geplant, die Stadt mit einem groß angelegten Netz aus Sensoren zu überziehen und zu erheben, wie Menschen ihre Umgebung nutzen – von Verkehr bis Handel, von Parkflächen bis kommunale Einrichtungen: Das Herzstück der Sensing City ist das permanente Erheben und Überwachen jeder Art öffentlicher Aktivität. Umwelt- und Verhaltensdaten – von Luftqualität und Lärmpegel über die Aktivitäten der Bewohner bis hin zur Entleerungsrate öffentlicher Mülleimer – werden analysiert, um ein Bild der Muster und Gewohnheiten des öffentlichen Lebens zu generieren, das dann als Grundlage für die unterschiedlichsten Entscheidungen und die Steuerung der städtischen Systeme dient. Der Verkehr, so die Planung, soll durch autonome Fahrzeuge effizienter werden. Weil der Autoverkehr dadurch mit weniger Platz auskommt, können Gehwege und Parks ausgedehnt werden. Ampeln werden so geschaltet, dass Fußgänger und Radfahrer stets Vorfahrt haben. Roboter werden unterirdisch umherschweifen und verschiedene einfache Dienste verrichten wie etwa die Post auszutragen. Auch Müll sollen die Roboter unter der Erde transportieren, um Straßenverkehr und Abgase zu minimieren. Zudem ist ein Bezahlsystem geplant, das einen schnellen und einfachen Zugang zu Dienstleistungen ermöglicht und ähnlich wie Amazons One-Click-Modell funktionieren soll. Auch die langfristige Planung wird durch die erhobenen Sensordaten optimiert: Ein mit Hilfe der Daten errichtetes Modell von „Quayside“ lässt Stadtplaner Infrastrukturänderungen virtuell testen.

Auch wenn vorgeblich das dicht gestrickte Netz aus Sensoren all das, was in der Stadt vor sich geht, nur zum Zwecke des Gemeinwohls erhebt, so gibt dieses Vorgehen nichtsdestotrotz Anlass für Privatsphärebedenken: Immerhin zeichnen die Daten in ihrer Gesamtheit ein umfängliches Bild des Alltags der Stadtbewohner. Dies wirft eine Reihe von Fragen auf: Was genau wird gesammelt? Wie sehr gehen die Daten ins Persönliche, betreffen den Privatbereich? Wie ist für die Sicherheit der Daten gesorgt? Wem gehören die Daten? Wer hat Zugang zu diesen Daten? Und nicht ganz unwesentlich: Wird Google Zugang zu den Daten haben?

Neben den durch die umfassende Datenerhebung genährten Sorgen um die Datensicherheit kommen auch Zweifel auf, ob das Projekt tatsächlich stets das Wohl der Stadtbevölkerung in den Vordergrund stellt oder nicht vielmehr primär ökonomische Interessen verfolgt. Denn als Technologieunternehmen geht Sidewalk Labs selbstredend auch mit dem Blick eines Technologieunternehmens an die Sache. Das Unternehmen selbst nennt das Projekt eine Plattform: Software und Systeme sollen gemäß dem Open-Access-Gedanken allen zugänglich sein, sodass Unternehmen beliebige Services andocken können. Schnell wandelbar soll die Stadt sein, genauso wie ein Smartphone durch Apps an die persönlichen Vorlieben und Bedürfnisse jedes einzelnen Nutzers anpassbar ist, soll dies auch im städtischen Bereich möglich sein. Zudem richtet sich der Blick von Sidewalk Labs natürlich über Toronto hinaus: Die in diesem Rahmen getätigten Entwicklungen sollen dann auch auf andere Städte übertragbar sein. Eine Art Stadtentwicklung nach dem Baukastenmodell schwebt den Projektbetreibern vor.

Das Projekt „Quayside“ ist ein weiteres Beispiel dafür, dass das Konzept „Smart City“ vor allem vom privaten Sektor – und hier vorrangig von Technologieunternehmen – vorangetrieben wird. Private Akteure bringen ihre Hard- und Software in einstmals typischerweise von Stadtverwaltungen erbrachte Aufgabenbereiche ein: Stadtentwicklung, die Bereitstellung öffentlicher Dienste und Erledigung öffentlicher Aufgaben. Während die Geschäftsinteressen bei solchen Projekten recht eindeutig auf der Hand liegen, sind das Bürgerwohl, die mit solchen Maßnahmen verbundenen Risiken und die Wirkungen auf die Stadtentwicklung auf lange Sicht weniger klar im Vorhinein kalkulierbar. Es wäre naiv zu glauben, dass all die beteiligten Akteure vorrangig auf das Gemeinwohl zielen und ihre eigenen Interessen hintanstellen.

Letztlich geht es auch bei „Quayside“ um dieselben Fragen, denen sich jedes „Smart City“-Projekt stellen muss: Wie demokratisch kann die datengetriebene Entscheidungsfindung überhaupt sein? Müssen Städte wirklich smart, im Handumdrehen wandelbar und effizient sein? Gibt es nicht guten Grund, warum Städte nicht ganz so schlau, langsam und ineffizient sind? Immerhin sind urbane Räume komplexe Systeme, deren Probleme nicht von heute auf morgen zu lösen sind – auch nicht durch das vermeintliche Allheilmittel Technik. Sich um Minderheiten oder ärmere Bevölkerungsschichten zu kümmern, ist nicht effizient. Auch die Post auszuliefern oder den Müll abzuholen sind Aufgaben, die sich nur schwerlich unter Effizienzgesichtspunkten messen lassen – dennoch wird eine funktionierende, lebenswerte Stadt flächendeckend für Postzustellung und Müllentsorgung sorgen. Wäre Effizienz der einzige Maßstab, bliebe vieles auf der Strecke.

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