Vorreiter der Sharing Economy


Nach wie vor liegt die Sharing Economy im Trend. Kurioserweise blieben in der Debatte rund um Sharing Bibliotheken bisher eher im Hintergrund. Dabei ist Teilen seit Jahrtausenden deren Kernaufgabe.


Mai 2018



Kaum etwas steht derart paradigmatisch für die Sharing Economy wie die Bohrmaschine: Die meisten Haushalte nennen ein derartiges Werkzeug ihr Eigen, wobei dieses aber nur höchst selten im Einsatz ist und somit jede Bohrmaschine dieser Welt nur einen winzigen Bruchteil ihrer Lebensspanne ihrer eigentlichen Zweckbestimmung nachkommt. Was also eignet sich besser als die Bohrmaschine, die Sinnhaftigkeit des Teilens und gemeinschaftlichen Konsumierens zu demonstrieren? Das Motto „Zugang statt Eigentum“ charakterisiert den Kerngedanken der Sharing Economy: Wir brauchen keine Bohrmaschinen, wenn es uns doch bloß um das Loch in der Wand geht. Dieser simple Gedanke zusammen mit einem zunehmenden Bewusstsein für Ressourcenschonung und dem Aufstieg der Vernetzungstechnologien bedeuteten die Geburtsstunde der Sharing Economy, die alsbald einen kometenhaften Aufstieg aus der Nische in den Mainstream schaffte und das traditionelle Verständnis von eigentumsbasiertem Konsum in Frage stellte.

Lange bevor es überhaupt Bohrmaschinen gab und lange bevor die Idee der Sharing Economy geboren war, existierten bereits Dinge, die rege geteilt wurden und damals schon eben das verwirklichten, was heute unter „Sharing“ verstanden wird: Bücher. Denn die jahrtausendealte Institution der Bibliothek setzt seit Anbeginn den Sharing-Gedanken um, indem sie das gemeinschaftliche Konsumieren von Büchern organisiert. Bücher und die darin enthaltenen Informationen einer möglichst breiten Nutzerschaft zugänglich zu machen, ist ihre Kernaufgabe. Immer schon waren mit Bibliotheken jene Vorzüge verbunden, die man heute der Sharing Economy zuschreibt: Teilen ist ökonomisch sinnvoll, eröffnet Konsumenten Zugang zu einer vielfältigen Auswahl und ist dabei noch nachhaltig sowie sozial ausgleichend.

Obgleich Bibliotheken also im Bereich des Teilens führend sind und kaum eine Institution über einen derartig reichhaltigen Erfahrungsschatz auf dem Gebiet des Sharings verfügen dürfte, blieben Bibliotheken in der Debatte rund um die Sharing Economy merkwürdig blass. Es ist vielmehr so, dass Bibliotheken sich immer wieder die Frage nach ihrer Rolle im Internetzeitalter gefallen lassen müssen und sie nur allzu häufig totgesagt werden, weil auf ihrem ureigenen Betätigungsfeld, dem Teilen von Information, eine Vielfalt neuer Anbieter mitmischt, wodurch die Existenzberechtigung von Bibliotheken infrage gestellt erscheint. Dabei stecken Bibliotheken längst inmitten eines massiven Anpassungsprozesses. Dass Bibliotheken keine Papierverwahrungsanstalten sind – und bei näherer Betrachtung nie waren –, wird allzu häufig übersehen. Den digitalen Wandel gehen Bibliotheken nicht nur mit, indem sie ihre Ressourcen auf Digitales ausgedehnt haben – so kann man heute neben papierenen Büchern eben auch E-Books, E-Magazine, Hörbücher oder Games leihen. Ebenso sind viele Bibliotheken bereits dabei, den Weiterentwicklungen und der großen Popularität der Sharing Economy Rechnung zu tragen und passen ihr eigenes „Sharing-Modell“ an.

Wo der Dreh- und Angelpunkt des bibliothekarischen Tuns – das Buch – immer öfter ins Virtuelle abwandert, wenden sich Bibliotheken wieder dem Physischen zu und füllen die einst mit Büchern bestückten Regalflächen mit anderen Dingen: In der „Bibliothek der Dinge“ können etwa Musikinstrumente, Werkzeuge, Gartengeräte oder Utensilien für Heimwerker entlehnt werden. Auf diese Weise erweitern Bibliotheken nicht nur ihre Reichweite nutzbringend, sondern werden auch der Tradition gerecht, soziale, kulturelle und Bildungsfunktionen wahrzunehmen. Denn verschiedene Dinge werden neben der Ausleihe auch zur Nutzung vor Ort in der Bibliothek zusammen mit passenden Workshops, Kursen oder Vorträgen angeboten. Viele Bibliotheken setzen dieses Modell etwa bereits mit Games oder Makerspaces um: Durch das Teilen von Raum und technischen Geräten laden Sie zum Ausprobieren ein, bringen Gleichgesinnte zusammen und stärken ihre Bedeutung als physischer Ort. Und nicht zuletzt unterstützen Bibliotheken mit solchen Angeboten das Teilen von Wissen, indem Informationsaustausch angekurbelt wird. Auch in dieser Hinsicht können Bibliotheken auf langbewährte Erfahrung zurückgreifen: Denn natürlich waren Bibliotheken immer schon mehr als Aufbewahrungsorte für Bücher, ging es doch immer vor allem um den Zugang zu Information.

„Zugang statt Eigentum“ war von Beginn an Basis des Erfolgsmodells Bibliothek – und kann es auch künftig sein. Beim Nachdenken darüber, wie sich Bibliotheken in Zukunft aufstellen könnten, welche Rollen und Aufgaben für die zukünftige Bibliotheksausrichtung passend erscheinen, kann die Sharing Economy hilfreiche Impulse geben. Welche Institutionen, wenn nicht Bibliotheken, sind natürliche Orte für Nutzergruppen, die zunehmend am Sharing-Gedanken interessiert sind?

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