Patchwork-Bildung


Wer braucht noch einen Abschluss? Immer mehr Organisationen vergeben alternative Lernnachweise. Liegt die Zukunft der Bildung im Patchwork-Modell?


Februar 2017



Brachte die digitale Revolution in den meisten Branchen viel Althergebrachtes zum Einsturz, so ging sie am Hochschulwesen ohne gröbere Spuren vorbei. Universitäten bestehen weitgehend unverändert – das heißt: zugeschnitten auf die Welt des Industriezeitalters. Über Jahrhunderte sind Hochschulen ihren Rollen als Wissensvermittler, Lerngemeinschaft sowie Zertifizierungsinstanz mehr oder weniger treu geblieben, obwohl sich ihr Umfeld drastisch gewandelt hat: Längst wird die Haltbarkeit von Wissen nicht mehr in Dekaden gemessen oder gilt Lernen mit einem Bildungsabschluss in der Tasche als abgeschlossen.

Doch je mehr das Internet zur herrschenden Infrastruktur für Informationen wird – sowohl als Aufbewahrungsort als auch als globale Austauschplattform –, desto stärker drängt sich die Frage nach der künftigen Rolle herkömmlicher Bildungsvermittler auf. Immer mehr Organisationen bieten Lernnachweise außerhalb der etablierten Bildungsstrukturen an und rütteln damit am Monopol von Hochschulen, Abschlüsse zu vergeben und damit als Wächter am Eingang zum Arbeitsmarkt zu agieren. Insbesondere offene Bildungsressourcen im Netz erlauben Lernen ohne jegliche Zugangsbeschränkungen und immer öfter werden Erfolge mit sichtbaren Auszeichnungen wie Badges belohnt.

Badges als Ausweis für erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse zu etablieren strebt auch die Mozilla Foundation mit ihrem Projekt Open Badges an. Das offene System von Auszeichnungen soll jedermann erlauben, Anerkennung für Lernerfolge zu sammeln und dies an zentraler Stelle online für jedermann sichtbar zu zeigen. Jede Organisation oder auch Einzelperson kann solche Badges vergeben und tritt damit zu Hochschulen in Konkurrenz.

Einerseits wird die Entwicklung viele Arbeitgeber freuen, bringen doch alternative Creditsysteme sehr viel differenzierter Gelerntes zum Ausdruck als Hochschulabschlüsse und verschaffen dadurch ein genaueres Bild von Bewerbern. Auch wird eine solche Patchwork-Bildung dem Erfordernis lebenslangen Lernens eher gerecht, weil flexibler auf sich ständig wandelnde Anforderungen reagiert werden kann.

Andererseits werfen die neuen Bildungsnachweise doch die Frage auf, wer heute eigentlich den Maßstab setzt, welches Wissen Bildung ausmacht oder zu bestimmten Berufen befähigt. Zudem lassen die neuen Bildungsnachweise befürchten, dass sich das Urteil darüber, was notwendiges Wissen ist, immer stärker nach Arbeitgeberbelangen richtet. Denn: Gelernt wird, was der Arbeitsmarkt verlangt. Dies bringt uns in die paradoxe Situation, dass die heute so breite Verfügbarkeit von Information von einer Abnahme des geteilten Wissens begleitet wird. Letzten Endes werden Badge-Systeme Bildung immer stärker auf Ausbildung reduzieren, Nützlichkeit vor Selbstzweck stellen und den Bildungskanon gefährden.

Teilen

f/21 Quarterly liefert Ihnen 4-mal jährlich frisches Zukunftswissen direkt in Ihr Postfach.
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos!