Von wegen verstaubt!


Bibliotheken seien Zeugen einer längst vergangenen Zeit und ein Anachronismus in der digitalen Ära, heißt es. Doch stimmt das?


Februar 2017



Unübersehbar bringen Digitalisierung und Vernetzung einen epochalen Wandel der Bibliothekswelt hervor. Der Weg in die Informationsgesellschaft ist verbunden mit tiefgreifend veränderten Anforderungen an die Informationsversorgung: Denn der Wandel vom gedruckten zum digitalen Medium, eine rapide gestiegene Informationsfülle mit Möglichkeiten des jederzeitigen Zugriffs hinterlassen Spuren. Weil die gesammelten Informationen dieser Welt immer nur einen Mausklick oder Fingerwisch entfernt sind, scheint das Geschäftsmodell von Bibliotheken überkommen. Es ist unschwer zu erkennen, dass bloße Büchersammlungen in der digitalen Informationswelt tatsächlich keinen Platz mehr haben. Doch reichten bibliothekarische Aufgaben nicht immer schon darüber hinaus, Bücher aufzubewahren und zugänglich zu machen?

Seit jeher stand im Vordergrund das Bewahren allen Erinnerns- und Überliefernswerten einer Gemeinschaft. Dienten hierzu anfänglich Tontafeln, später Wachstafeln, Papyrus oder Pergament, so waren lange Zeit Bücher die beste Technologie, um Information zu speichern und zu transportieren. Dass das digitale Zeitalter neue, für viele Arten von Informationen passendere Medien zur Verfügung hat, ändert dabei nichts an der Zweckbestimmung der Bibliothek. Zum anderen erfüllten öffentliche Bibliotheken stets auch eine gesellschaftlich bedeutende Aufgabe, indem sie allen Bürgern und Bürgerinnen unabhängig von Schichtzugehörigkeit, Geschlecht, Alter oder Herkunft Zugang zu allen möglichen Informationen gewährleisten und damit die Einlösung des Grundrechts, „ sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“ (Grundgesetz Artikel 5, Absatz 1) unterstützen.

Als Garant der Informationsfreiheit und Meinungsvielfalt sind öffentliche Bibliotheken Grundpfeiler einer freiheitlichen, integrativen und aufgeklärten Demokratie. Ebenso machen sie ihre weltanschauliche Neutralität und Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen zu einer grundlegenden Einrichtung der Zivilgesellschaft. Zutritt und Anwesenheit sind an keinerlei Bedingungen geknüpft – anders als etwa im Museum oder in der Volkshochschule, wo das Verweilen an ein Eintrittsticket bzw. eine Kursteilnahme gebunden ist.

Kann die gewandelte Informationswelt des digitalen Zeitalters nun wirklich bedeuten, dass Bibliotheken obsolet geworden sind? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Bibliotheken heute notwendiger sind denn je? Eine Reihe herausragender Beispiele von Bibliotheksneugestaltungen wie etwa Dokk1 in Aarhus oder die erste rein digitale Bibliothek im texanischen San Antonio geben einen Eindruck, wohin die Reise geht: Arbeitsräume, Cafés und Veranstaltungen laden zum Austausch ein, Nähmaschinen, 3D-Drucker, Tonstudios und Reparatur-Cafés fördern aktive Beteiligung, Makerspaces, Kreativlabors und Videospiele sprechen die unterschiedlichsten Nutzerinteressen an. Auch in Deutschland experimentieren viele Bibliotheken mit neuen Konzepten. Worum es stets bei der Neuausrichtung geht: Digitalisierung rückt die Bücher aus dem Zentrum und schafft Platz für gemeinschaftliche Räume.

Öffentliche Räume sind eine wichtige Grundlage für gesellschaftliches Leben, denn sie dienen als Treffpunkte, als Orte für freie Meinungsäußerung und Informationsaustausch sowie als Entstehungsquellen eines „Wir-Gefühls“. Daher werden paradoxerweise Bibliotheken in einer Welt, in der der virtuelle Raum immer größere Anziehungskraft entfaltet, gerade als physischer Raum an Bedeutung gewinnen. Denn sie schaffen öffentlichen Raum, der für Demokratie unabdinglich ist. Bibliotheken bringen lokale Gemeinschaften zusammen, bieten eine moderne Agora und bilden auf diese Weise einen Anker in der physischen Welt für eine Gesellschaft, in der das Virtuelle immer raumgreifender wird.

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