Die verspielte Bibliothek


Im digitalen Zeitalter müssen Bibliotheken mehr sein als reine Bewahrer von Wissensbeständen. Weil Games zu den erfolgreichsten Medien unserer Zeit zählen, öffnen sich Bibliotheken der Gaming-Kultur.


November 2014



Hält man sich vor Augen, mit welcher Leidenschaft und Leichtigkeit Menschen in Computerspielen auch die härteste Nuss knacken, drängen sich Spiele als „Lernhilfen“ geradezu auf. Denn sie haben alle Inhaltsstoffe, die es für erfolgreiche Lernerfahrungen braucht: Spiele setzen klare Ziele, bieten befriedigende Erfahrungen, geben unmittelbares Feedback, nehmen die Angst vor Fehlschlägen, öffnen Raum für kreatives Denken und soziale Interaktion. Spielwelten reduzieren Komplexität, fördern das Ergründen und Erkunden von Neuem und ermöglichen Probehandeln. Wenn Spieler dann noch ihre Aufgaben selbst definieren und Herangehensweisen eigenständig überlegen, stellt sich Lernen quasi automatisch und ganz nebenbei ein.

Spielspaß und Lernen sind keine Gegensätze – ganz im Gegenteil: Schließlich springt das Belohnungssystem im menschlichen Gehirn auch im Moment des Triumphs an, wenn wir Neues gelernt oder eine Herausforderung gemeistert haben. Spielen ist Lernen.

Daher ist es nur folgerichtig, dass das Spielerische auch in die Bildungswelt einfließt. Traditionelle Lernformen weichen zunehmend dem Streben nach Edutainment: Lernen und Unterhaltung sollen verwischen, Lernen soll keine Anstrengung kosten, sondern Spaß bereiten. Gaming wird künftig eine immer größere Rolle in der Wissensvermittlung spielen.

Als Orte des Lernens machen sich auch Bibliotheken die Kraft von Spielen immer häufiger zunutze und öffnen spielerische Wege zur Erschließung von Information. So verwandelt etwa Librarygame, eine Software, die in die bibliothekseigenen Systeme integriert werden kann, die Bibliotheksnutzung in ein Spiel: Für bestimmte Aktionen wie etwa das Ausleihen oder Retournieren eines Buchs, eine Buchempfehlung oder -bewertung gibt es Punkte und Badges zu verdienen. Einen noch schnelleren Aufstieg schafft, wer Kombinationen von Aktionen vollbringt, also beispielsweise dreimal am Wochenende in die Bibliothek kommt, alle Werke eines Autors liest oder Titel aus möglichst verschiedenen Themenbereichen ausleiht.

Die „spielifizierte“ Bibliothek möchte die Nutzererfahrung optimieren, indem Lern- und Rechercheprozesse unterhaltend und angenehm gestaltet werden. Spielerisch wird bei der Informationssuche und -erkundung unterstützt. Nicht zuletzt macht Gaming die Bibliothek als sozialen Raum, als Ort der Interaktion erlebbar, denn Spiele verbinden Nutzer, lassen Kommunikation und Austausch zu. Die ehedem isolierte Bibliotheksnutzung wird so zum Gemeinschaftserlebnis.

Gaming ist für Bibliotheken somit auch ein Mittel, ihren notwendigen Rollenwandel im digitalen Zeitalter zu bewerkstelligen: vom „Lagerhaus des Wissens“ zum Wissensagenten. Bücher liegen zunehmend digital vor, Informationen sind immer und überall auf Knopfdruck abrufbar. Weil sich Anforderungen an die Informationsbeschaffung durch Internet und Digitalisierung radikal verändern, verschiebt sich auch das Aufgabenfeld von Bibliotheken hin zur Unterstützung bei der Suche nach Wissensquellen, Auswahl, Bewertung und Strukturierung von Informationen. Bibliotheken werden zu Informationsdrehscheiben, wo sich reale und virtuelle Welt treffen, wo Information nicht nur vorgehalten, sondern geteilt wird. Gaming könnte das Fundament sein, auf dem dieser Paradigmenwechsel gelingt: Durch ihre vielfältigen Möglichkeiten, off- und online zu verschmelzen, ein Medium zum Austausch zwischen den Nutzern bereitzustellen, Informationen zu visualisieren und ansprechend darzustellen, können Games für Bibliotheken den digitalen Weg in die Zukunft weisen und neuartige Formen des Lernens erschließen helfen.

Auch wenn die Bestände zu einem großen Teil in den digitalen Raum abwandern, hat die Bibliothek als analoger Ort weiterhin ihre Berechtigung. Sie wird Kommunikations-, Interaktionsraum und Erlebnisraum sein, Ort der Begegnung, des Austauschs mit anderen. Als prägendes Medium des digitalen Zeitalters rücken Spiele bei Bewältigung dieser neuen Rolle von Bibliotheken immer stärker in den Fokus.

Teilen

f/21 Quarterly liefert Ihnen 4-mal jährlich frisches Zukunftswissen direkt in Ihr Postfach.
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos!