Am digitalen Lagerfeuer


Fernsehen ist beliebt wie eh und je. Von Stillstand ist dennoch keine Spur beim Leitmedium TV. Denn durch das Verschmelzen von Internet und Fernsehen bleibt nichts wie es war: Interaktivität, Personalisierung und das Soziale gewinnen an Bedeutung.


August 2013



Hätte Bill Gates Recht behalten, gäbe es heute kein Fernsehen mehr. Innerhalb von fünf Jahren, prophezeite der Microsoft-Gründer 2007 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, sei Fernsehen tot. Und Gates ist längst nicht der einzige, der Fernsehen bereits totsagte: Das Internet löse das Fernsehen als Leitmedium ab, vor allem junge Menschen seien nicht mehr an den Einbahnmedien Fernsehen und Radio interessiert, das herkömmliche Fernsehen mit seinen festen Sendezeiten und passivem Gucken sei ein Auslaufmodell – so heißt es schon lange. Die Realität spricht jedoch eine ganz andere Sprache: Immerhin brachten es nach Messungen der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung die Deutschen im Jahr 2012 auf eine durchschnittliche Fernsehdauer von täglich 222 Minuten. Es darf also vermutet werden, dass die Flimmerkiste immer noch den Mittelpunkt vieler Wohnzimmer bildet. Aber ein Wandel kündigt sich an. Damit dürfte Bill Gates mit seiner Prognose nicht ganz falsch liegen, lassen doch das Zusammenwirken neuer Angebote seitens der Sendeanstalten, neuer Verteilungsmodelle über das Internet und der Wünsche und Interessen der Zuschauer völlig neue Fernsehwelten entstehen.

Die Technologien entwickeln sich derart rasant, dass eine Fernsehrevolution unmittelbar bevorsteht. Das Internet wird dabei eine tragende Rolle spielen. Noch nutzen die Sendeanstalten das Netz wenig innovativ, dient es doch vor allem bloß als zusätzlicher Ausstrahlkanal für das vorhandene Programm. Aber Nutzer wollen Sendungen nicht bloß zeitversetzt sehen, sie wollen mitreden und ihre Meinung sagen – auch während der laufenden Sendung. Fernsehen wird künftig interaktiver. Auch ändern sich die Sehgewohnheiten dahingehend, dass man keinen „Termin“ mehr mit dem Fernsehgerät hat – Zuschauer wünschen Sendungen, wann und wo es gerade beliebt. Man will nicht länger an die Programmauswahl und Zeitpläne der Sender gebunden sein. Daher wird Fernsehen künftig eine Kombination aus herkömmlichen Programmen und nutzergenerierten Inhalten aus dem Internet sein – das alles zudem immer öfter mobil abrufbar. Die Fernsehanstalten werden damit umgehen müssen, Aufmerksamkeit zu teilen: Fast jeder Zuschauer hat beim Fernsehen heute ein zweites Gerät in Betrieb – auf Smartphone, Tablet-Computer oder Laptop wird nebenbei im Internet gesurft, getwittert oder gemailt. Die Jüngeren sind wahre Meister im medialen Multitasking. Einer vom Medienunternehmen Time Warner beauftragten Studie zufolge wechseln Digital Natives, die Ureinwohner des Internets, jede zweite Minute das Medium. Dieses „Second Screen“-Phänomen wird eine Vielfalt an Bonusmaterial, Hintergrundinformationen und natürlich auch Werbung auf anderen Kanälen entstehen lassen, wodurch sich Fernsehen immer stärker vom Fernsehgerät löst.

Trotzdem wird in der digitalen Welt das Fernsehen wieder stärker seine Lagerfeuer-Wirkung entfalten: Wie einst die Familie sich rund um das Fernsehgerät versammelte, werden sich Menschen künftig in einem virtuellen Wohnzimmer über das Programm austauschen. Fernsehen könnte in Zukunft bedeuten: Facebook und Twitter sind in einen Videostream integriert, gleichzeitig haben die Zuschauer die Möglichkeit zum Videochat. Überhaupt werden soziale Netzwerke das Fernsehen stark beeinflussen: Man redet wieder übers Fernsehen, und zwar im Netz. Dabei wird der Fernsehzuschauer gründlicher analysiert denn je, denn die Zukunft des Fernsehens wird personalisiert sein. TV-Anbieter werden dem Zuschauer Vorschläge für Filme und Sendungen machen, die zu seinen Vorlieben passen. Der nächste Schritt wird personalisierte Werbung sein. Durch die Auswertung von Twitterströmen, Kommentaren auf sozialen Netzwerken und dergleichen wird Werbung künftig auf die Einzelperson zugeschnitten – je nach Lokation, Nutzerhistorie und Inhaltspräferenzen.

Die Leichtigkeit, mit der Inhalte über das Internet verteilt werden können, lässt nutzergenerierte Inhalte zur Konkurrenz herkömmlicher Fernsehformate werden. Aber auch Apps führen dazu, dass Sendeanstalten an Einfluss verlieren: Mit dem Einschalten des Fernsehers wird man nicht mehr auf einem Sendeplatz landen, sondern auf einer Benutzeroberfläche mit einer Vielfalt von Apps, von denen einige zu altgewohnten TV-Programmen führen werden, andere jedoch zu Videotheken, Streamingdiensten oder Plattformen für Selbstgemachtes wie etwa YouTube. In der neuen Fernsehwelt wird daher völlig neu definiert, was Fernsehen ist: jeder bewegte Inhalt, ob live oder zeitversetzt konsumiert, ob nutzergeneriertes Internetvideo oder von einem Sender aufwendig produzierte Sendung.

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