Bibliothek der Zukunft


Die digitale Revolution macht selbst vor der uralten Institution der öffentlichen Bibliothek nicht Halt. Bibliotheken müssen sich neu erfinden.


August 2016



Wer braucht heute noch Bibliotheken? Im Internetzeitalter sei Information doch reichlich und allgegenwärtig verfügbar. Warum sollte man sich auf den Weg in eine Bibliothek begeben, kann man genauso gut bequem von zu Hause aus seine Informationsbedürfnisse recherchieren? Um den Unkenrufen zu trotzen, werden Bibliotheken auf diese Frage eine schlüssige Antwort finden müssen.

Tatsächlich hat vor allem die digitale Revolution die Rahmenbedingungen für Bibliotheken drastisch verändert. In der post-Gutenberg Ära erfolgt der Zugang zu Information komplett anders als zu analogen Zeiten. Über mobile Endgeräte sind wir ständig mit anderen verbunden und eingeklinkt in einen Fluss an Informationen. Weil auch Bildungsressourcen jederzeit und überall abrufbar sind, verändert sich auch Lernen und löst sich von traditionellen Bildungsinstitutionen. Zusätzlich hat sich die Entstehungsweise von Inhalten gewandelt, insbesondere setzen soziale Netzwerke die Gatekeeper-Funktion der Massenmedien außer Kraft. Big Data sorgt dafür, dass künftig Informationen immer seltener gesucht werden müssen, weil sie selbständig zu uns kommen. Eine Vielzahl neuer Technologien wie Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge und Virtual Reality werden auch das bibliothekarische Arbeitsfeld verändern. Für Bibliotheken bedeutet dies den Aufbau einer komplett neuen Informationsinfrastruktur, die all den neuen Möglichkeiten gerecht wird.

Ein Blick in die Bibliothekswelt zeigt, dass ein Funktionswandel bereits in vollem Gange ist: Die bestandsorientierte Archivbibliothek wird mehr und mehr abgelöst von der benutzerorientierten Bibliothek, die sich als Zentrum für Informationsdienste versteht. Die bisherige Hauptfunktion, Informationsmaterialien zu erwerben und Nutzern bereitzustellen, verliert immer mehr an Bedeutung. In einer digitalen, vernetzten Welt sind Bibliotheken als reine Inhalteanbieter kaum noch von Nutzen. Vor diesem Hintergrund setzten Bibliotheken auf andere ihrer Stärken und verschieben ihren Aufgabenkern zunehmend auf die Vermittlung digitaler Inhalte und wuchern mit ihrem Pfund, einen physischen Ort der sozialen Interaktion bereitzustellen.

Nach dem Funktionsprinzip von Internetportalen agieren sie als Drehscheibe für sämtliche Informationsangebote und -bedürfnisse. Dabei müssen künftig stärker noch als heute Inhalte verschiedenster Formate und Quellen zusammengeführt werden, um dem Nutzer neue Informationszusammenhänge zu erschließen. Ein wesentlicher Vorteil, den Bibliotheken hierbei gegenüber (kommerziellen) Internetportalen haben, ist deren Neutralität und Unparteilichkeit. Maßgeblich für die Informationsbereitstellung ist einzig das Informationsbedürfnis des Nutzers. Bibliotheken stillen Informationsbedürfnisse abseits weltanschaulicher, kommerzieller oder sonstiger Interessen, sie nehmen den Nutzer nicht in einer Filterblase vorsortierter Informationen gefangen.

So paradox es klingen mag, Bibliotheken werden als physischer Ort in der digitalen Welt an Bedeutung gewinnen. Als Treffpunkte, Begegnungsstätten, Orte sozialer Interaktion und des persönlichen Austausches bilden sie einen Kontrapunkt zu virtuellen Informationsangeboten. Nicht nur als Ort des Rückzugs werden Bibliotheken in Zukunft wahrgenommen werden, sondern auch als Plattformen des sozialen Miteinanders, wo gezielte Treffen als auch Zufallsbegegnungen stattfinden. Als privater öffentlicher Raum werden Bibliotheken zu „öffentlichen Wohnzimmern“.

Außerdem werden Bibliotheken für eine Verankerung von virtuellen Lern- und Arbeitsumgebungen in der physischen Welt sorgen. Bibliotheken geben den zunehmend digital verfügbaren, für ein globales Publikum erstellten Lernressourcen einen „lokalen Anstrich“ und unterstützen den doppelten Charakter des Lernens als individuellen, aber auch sozial geprägten Prozess. Durch das Angebot entsprechender Infrastruktur, aber auch die Möglichkeit des persönlichen Austausches werden Bibliotheken zu Orten des lebenslangen Lernens und der Kollaboration. Sie werden Alternativen zu kommerziellen Coworking-Spaces sein. Stärker als bisher wird in Bibliotheken neben den Informationskonsum das aktive Erschaffen treten. Mit dem Angebot von 3D-Printing in Maker-Spaces experimentieren viele öffentliche Bibliotheken bereits mit dem Schritt, zu Orten der Ko-Kreation zu werden. Künftig werden Kreative aller Art in Bibliotheken gemeinschaftlich ihren Kunst-, Design- und Multimediaprojekten nachgehen. Auch als Self Publishing-Hubs werden Bibliotheken dienen und in der veränderten Publikationslandschaft die Entstehung neuer Werke aktiv begleiten.

Auf dem Weg in die vernetzte Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts werden Bibliotheken verstärkt virtuelle und analoge Welt verknüpfen. Auf diese Weise werden sie ihre traditionellen Stärken ausspielen, um im Wettbewerb mit Internetportalen wie Google bestehen zu können und Nutzern darüber hinaus einen Mehrwert zu bieten.

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