Zeitungsente 2.0


Falschinformationen gab es immer schon. Doch Fake News bedeuten mehr als die Zeitungsente des analogen Zeitalters. Muss die digitale Gesellschaft mit der Meinungsmanipulation im Netz leben?


August 2018



Vor mehr als einem Jahrzehnt hat Harvard-Professor Yochai Benkler in seinem Buch „The Wealth of Networks“ eine Revolution durch das Internet vorausgesagt, weil durch das Netz der Zugang zu Macht demokratisiert würde: Die Informationsökonomie sei ursprünglich, so Benkler, rund um teure Produktionsmittel wie Radiosender, Druckmaschinen, Fernsehstudios aufgebaut. Computer und Internet erlauben Menschen diese Machtzentren der Vergangenheit zu umschiffen und eröffnen zugleich die Möglichkeit für neue Machtmodelle. Seit dem Erscheinen von Benklers mittlerweile zum Klassiker avancierten Buch ist viel passiert und die damals bahnbrechende Einsicht ist heute kaum mehr als eine Binsenweisheit. Längst ist „always on“ keine Vision mehr, immerzu und überall sind wir Teil eines weltumspannenden Informationsnetzes, in dem tatsächlich, wie Benkler es vorausgesagt hat, die traditionellen Gatekeeper entmachtet sind.

Vielfach üben die Macht heute die neuen Datensammelgiganten wie Google und Facebook aus, die keinen Winkel des Privatlebens ihrer Nutzer unausgeleuchtet lassen und durch dieses Wissen neue Macht anhäufen. Denn die Netzgiganten haben es in der Hand, wer was wann zu Gesicht bekommt. Neu ist an dieser veränderten Machtkonstellation, dass diese Zugänge zur Macht gekauft werden können, wie die vergangene US-Präsidentschaftswahl vorgeführt hat. In diesem Zuge wurde auch der Begriff „Fake News“ geboren, da die neuen Gatekeeper des Internetzeitalters zu Wahlkampfzwecken als Quellen von Falschinformation missbraucht wurden. Aller Welt wurde vor Augen geführt, wie die neue Machtstruktur im Internetzeitalter diejenigen mit ausreichend technischem, sozialem und politischem Know-How dazu befähigt, beliebige – auch noch so absurde – Inhalte zu verbreiten. Zusätzlich ist es auch dem herrschenden Dogma unbedingter Transparenz geschuldet, dass die Prozeduren des Gatekeepings weitgehend abgeschafft sind, um Informationen frei fließen zu lassen. Anstelle eines fairen Spiels freier Informationen tobt jedoch eine Schlacht, in der Information zur Manipulation und Täuschung herangezogen wird, um die jeweiligen Interessen und Motive zu stützen und durchzusetzen.

Falsche Informationen gab es natürlich immer schon. Doch sind Fake News mehr als bloße „Zeitungsenten“, denn die absichtlich falschen Nachrichten werden eigens zum Zweck der viralen Verbreitung über soziale Netzwerke produziert. Einmal in der Welt können sie durch die schnelle Streuung im Netz nicht mehr korrigiert, geschweige denn zurückgeholt werden. Heute sind Fake News zu einem globalen Phänomen geworden, das die Macht hat, die öffentliche Meinung zu manipulieren, Wahlen zu beeinflussen und damit gesamte Demokratien zu gefährden.

Weil es sich bei Fake News um ein junges Phänomen handelt, steht die Forschung noch ganz am Anfang. Die exakten Folgen für Individuen, Institutionen und die Gesellschaft als Ganzes lassen sich nur erahnen. Wie wird die Manipulationsmöglichkeit von Information unser Zusammenleben verändern? Werden demokratisch verfasste, offene Gesellschaften dies aushalten (müssen)? Braucht es neue, zeitgemäße Sicherungsmaßnahmen? Und wenn ja, wie könnten diese beschaffen sein? Es war erneut, Yochai Benkler, der sich Anfang 2018 mit einer Reihe von Mitautoren in einem Artikel über die Frage Gedanken machte, wie gegen Fake News vorzugehen sei und was im Internetzeitalter an die Stelle altbewährter institutioneller Bollwerke gegen Falschinformation treten könne. Als effektive Maßnahmen gegen Fake News schlagen die Autoren zweierlei vor: Zum einen muss es darum gehen, Individuen zu ermächtigen, Falschnachrichten leichter als solche zu erkennen. Dabei kann ein umfassendes Fact Checking helfen, also die Nachverfolgung, Prüfung und Korrektur von Inhalten. Die ersten solchen Dienste wurde Anfang des neuen Jahrtausends in den USA gegründet: Die 2003 gegründete Webseite FactCheck.org ist noch heute aktiv. In Deutschland arbeitet an der Aufklärung über und Korrektur von Fake News etwa die vom gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv.org betriebene Webseite „Echtjetzt“.

Laut Benkler und seinen Mitautoren hat Fact Checking jedoch seine Tücken – und damit auch Grenzen im Erfolg. Dies hat viel damit zu tun, wie Menschen ticken: So neigen Nachrichtenempfänger etwa dazu, die Glaubwürdigkeit von Informationen nicht in Frage zu stellen, solange diese nicht der vorgefassten Meinung entgegenstehen oder sich ein sonstiger Anreiz für das Hinterfragen aufdrängt. Ansonsten wird Information meist unkritisch hingenommen, wobei Menschen dazu tendieren, sich den Werten und Anschauungen ihrer Gemeinschaft anzuschließen. Menschen sind alles andere als objektive Informationssuchende: Zumeist sind wir offen für solche Informationen, die die eigene Meinung verstärken, wir finden Informationen überzeugender, die mit unserer eigenen bereits vorhandenen Meinung konsistent ist, als nicht übereinstimmende Informationen und eher akzeptieren wir Informationen, die uns gefallen und in unser Weltbild passen. All dies macht es Fact Checking schwer, weil Meinungen nicht unbedingt geändert werden, wenn falsche Informationen korrigiert werden. Die Korrektur unrichtiger Information kann sich sogar als Bumerang erweisen: Jede Wiederholung der falschen Information, sogar im Kontext der Anfechtung, kann sich nachteilig auswirken, denn je öfter Menschen Informationen wahrnehmen, desto bekannter und folglich glaubwürdiger erscheinen diese. Professionelles Fact Checking hat also einen schweren Stand und ist nur mäßig erfolgreich im Vorgehen gehen Fake News, zumal es viel Zeit und sonstige Ressourcen in Anspruch nimmt. Weil demgegenüber falsche Nachrichten schnell und einfach in die Welt gesetzt sind, kann Fact Checking ohnehin nie mit dem permanenten Strom an Falschinformation Schritt halten. Gegen das Problem der Masse haben Forscher der Yale University Crowdsourcing als alternativen, vielversprechenden Ansatz im Kampf gegen Fake News vorgeschlagen. Hierbei würden Inhalte von der Netzgemeinde bewertet und die Vertrauenswürdigkeit von Nachrichtenquellen durch eine Ratingskala ausgedrückt.

Neben Fact Checking schlagen Benkler und Mitautoren als weiteren Weg gegen Fake News strukturelle Änderungen vor, die verhindern sollen, dass Nutzer den falschen Nachrichten überhaupt ausgesetzt werden. Hält man sich vor Augen, dass das Internet nicht nur die Publikation von Falschinformationen erlaubt, sondern insbesondere mit den sozialen Medien Werkzeuge zur aktiven Verbreitung bereitstellt, dann liegt auf der Hand, dass ein effektiver Kampf gegen Fake News bei den sozialen Medien ansetzen muss. Ein Anfang könnte sein, Nutzer über die Vertrauenswürdigkeit der Quellen zu informieren; ebenso könnte die Vertrauenswürdigkeit einer Quelle in die algorithmischen Rankings integriert werden. Die Autoren schlagen außerdem vor, die Personalsierung politischer Informationen relativ zu anderen Informationsarten zu reduzieren, um den Effekt der Filterblase abzuschwächen. Generell geht es darum, die Quellen von Falschinformation zu identifizieren und die Verbreitung der von diesen ausgehenden Informationen möglichst zu unterbinden. Da ein Großteil der Falschinformationen von Bots gestreut wird, sollte deren Tätigkeit schärfer in den Blick genommen werden, um durch Bots gestreute Information zu erkennen und deren automatische Verbreitung einzudämmen sowie Algorithmen dazu zu bringen, solcherlei automatisch verbreitete Inhalte zu ignorieren. Als problematisch wird sich hierbei allerdings erweisen, dass die Entdeckung von Bots allzu häufig einem Katz-und-Maus-Spiel gleicht: Jede Enttarnung und Unschädlichmachung wird umgehend beantwortet mit Gegenmaßnahmen von Bot-Entwicklern. Daher kann man davon ausgehen, dass eine riesige, unbekannte Menge von menschenähnlich agierenden Bots unentdeckt bleibt.

Im Kampf gegen Fake News wird künftig die Identifizierung von Bots ein wichtiges Forschungsfeld sein. Neben solcherart technischen Fragen wird es aber künftig vor allem auch darauf ankommen, das gesamte System der Informationsverbreitung fit zu machen für das digitale Zeitalter. Daher wird im Zentrum der Aufgabe der wirkungsvollen Verhinderung von Fake News die Frage stehen, wie soziale Informationssysteme beschaffen sein müssen, damit sie eine Kultur ausbilden, in der vertrauenswürdige Informationen geschätzt und verbreitet werden. Diese Herausforderung macht nicht weniger als interdisziplinäre Forschung und ein globales Vorgehen vonnöten.

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