Die teilende Stadt


Kostenersparnis, Umweltschutz, Konsumvielfalt – Vorteile der Sharing Economy sind schnell benannt. Kein Wunder, dass ganze Städte auf den Sharing-Trend aufspringen und Teilen im großen Stil leben.


November 2016



Zwar sind Teilen und gemeinschaftliches Konsumieren seit jeher elementare Formen menschlichen Wirtschaftshandelns. Seitdem sich das Internet als ideale Plattform für Teilen mit unbegrenzter Reichweite entpuppt hat, wurde die uralte Wirtschaftsform als neudeutsches „Sharing“ zum neuesten Trend erkoren und ist seitdem in aller Munde. 2011 kürte das TIME Magazin Sharing gar zu einer von zehn Ideen, die die Welt verändern werden.

Nicht gleich die gesamte Welt, doch aber eine Reihe von Städten könnte die Sharing Economy tatsächlich bald gründlich wandeln. Weil die Sharing Economy durchaus Lösungen für einige große Probleme des menschlichen Zusammenlebens bieten kann, haben nämlich eine Handvoll von Großstädten begonnen, sich als „Sharing City“ neu zu erfinden und die Etablierung einer Sharing-Kultur als Alternative zu Reformen voranzutreiben.

Vorreiter ist die südkoreanische Hauptstadt Seoul, eine der großen Megacitys der Welt, die auf dem besten Wege ist, eine Modellstadt für Sharing zu werden. Das 2012 ins Leben gerufene und von der Stadt finanzierte Projekt „Sharing City, Seoul“ zielt darauf ab, Sharing-Angebote innerhalb der Stadt auszubauen und Bürgern die Sharing Economy näherzubringen. Sharing wird als Möglichkeit betrachtet, das Leben der Bürger zu verbessern und gleichzeitig Ressourcen und Budget der Stadt zu entlasten, Jobs zu schaffen und Einkommen zu erhöhen. Denn die Stadt kämpft mit Riesenproblemen: Urbanisierung und Überbevölkerung führen geradewegs zu Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel, Verkehrs- und Parkplatzproblemen, Umweltverschmutzung sowie Übernutzung von Ressourcen. Zwar stehen auch andere Städte vor ähnlichen Herausforderungen, doch verstärkt in Seoul die extreme Bevölkerungsdichte die Problemlage zusätzlich. Gleichzeitig aber weist die Metropole beste Voraussetzungen für das technikgestützte Sharing auf: Denn die Stadt ist nicht nur dicht besiedelt, sie ist auch bestens vernetzt und verfügt über eine hochentwickelte Technologie-Infrastruktur. Mit der weltweit größten Verbreitung von Glasfaser-Breitbandanschlüssen und dem schnellsten Internet der Welt, einem ausgedehnten öffentlichen WLAN und einer hohen Durchdringung mit Smartphones sind ein ideales Fundament gelegt für ein Wirtschaftsmodell, das auf Austauschbeziehungen zwischen Individuen setzt und daher vom schnellen Finden eines geeigneten Transaktionspartners abhängt.

Durch den Ausbau der Sharing-Infrastruktur, die Unterstützung existierender Sharing-Anbieter und die Förderung von Gründungen in diesem Bereich, die Nutzung brachliegender öffentlicher Ressourcen (wie etwa Gebäudeflächen, Straßen, Parkplätze, Dienstleistungen) sowie die Öffnung des Zugangs zu Daten und digitalen Werken beschreitet Seoul einen modernen Weg, mit Hilfe von Informationstechnologie und Social Networking soziale, ökonomische, ökologische Probleme der Stadt zu lösen und die städtische Gemeinschaft wiederzubeleben.

So treibt die Stadt etwa die Entstehung von Leihbibliotheken für Bücher und Werkzeuge in Wohnhäusern voran. Aber sie realisiert auch selbst Sharing-Angebote und macht beispielsweise Parkplätze für Stadtangestellte außerhalb der Bürozeiten für die Allgemeinheit verfügbar, im Gegenzug teilen tagsüber Anwohner ihre Stellflächen.

Weil Seoul das Projekt eingehend mit Informationskampagnen begleitete, aber auch schnell Erfolge erzielte, zog die Stadt schon bald Aufmerksamkeit auf sich und andere Städte Südkoreas folgen dem Beispiels Seouls bereits. Aber auch im Rest der Welt gibt es Vorstöße von Städten in die Sharing Economy. In Europa kann Amsterdam als die erste Sharing City bezeichnet werden. Auch hier kommen Stadtverwaltung und Akteure der Kommune zusammen, um Möglichkeiten und Herausforderungen der Sharing Economy auszuloten. Dabei trägt die niederländische Herangehensweise voll und ganz dem kollaborativen Gedanken der Sharing Economy Rechnung: Vorangetrieben wird die Idee von einer Reihe so genannter „Ambassadors“, also verschiedenste Interessengruppen neben Stadtverwaltung und Sharing-Anbietern. Diese „Sharing-Botschafter“ treiben konkrete Projekte voran, die als „Spielwiese“ für die Sharing Economy dienen sollen, um Erfahrungen zu sammeln und Fallstricke frühzeitig zu erkennen.

Ob die Idee der Sharing City sich weiter verbreitet und tatsächlich als Alternative zu Reformpolitik taugt, wird die Zukunft zeigen. Jedenfalls aber steht es in ihrer Macht, einen Beitrag zu gewandelten urbanen Gestaltungsprozessen zu leisten. Denn der Bürger des Internetzeitalters mit seiner viralen Beteiligungskultur ist kein passiver Konsument städtischer Dienstleistungen, sondern will aktiver Mitgestalter sein und sein Lebensumfeld gemeinsam mit anderen selbst entwickeln. Das Konzept der Sharing City mit seinen dezentralen, selbstorganisierten Modellen hat daher das Potenzial, eine Vision einer neuen Form des Wirtschaftens aufzuzeigen und aus der Basis der Stadtbevölkerung heraus voranzutreiben.

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