Spurwechsel


Autonomes Fahren wird vielerlei Konsequenzen haben – auch abseits der Straße.


Februar 2016



Autonome Fahrzeuge werden nicht nur Einfluss auf unsere Mobilität haben und verändern, wie wir von A nach B kommen. In vielerlei Hinsicht werden sie das Verhalten von Menschen verändern und damit Effekte auf die verschiedensten Aspekte unseres Lebens mit sich bringen.

Die Rolle des Fahrers zugunsten derjenigen des Passagiers aufzugeben, wird in einer Welt selbstfahrender Autos bald keine freiwillige Wahlentscheidung mehr sein. Denn funktioniert die Technik erst einmal reibungslos, werden fahrerlose Autos zum Standard auf unseren Straßen. Weil die allermeisten Unfälle auf menschliche Fehler zurückzuführen sind, werden die technischen Kollegen als bessere Fahrer gelten, die mehr Sicherheit versprechen. Autos selbst zu lenken wird als waghalsiges Unterfangen eingestuft werden, das unbezahlbare Versicherungssummen kosten oder gänzlich verboten sein wird. Gibt der Mensch das Steuer ab, hat dies auch Konsequenzen abseits des Autoverkehrs.

Naheliegend ist, dass die Alternativen des öffentlichen Verkehrs ihr Gesicht wandeln werden. Bus, Bahn & Co. werden als weniger attraktiv gelten als selbstfahrende Autos, die nicht an Fahrpläne gebunden sind und Ziele daher flexibler und bequemer ansteuern. Auch ersparen sie Pendlern das Konservenbüchsengefühl zu Stoßzeiten. Der öffentliche Massenverkehr wird ergänzt werden durch (hochpreisige) Ridesharing-Dienste. Fahrerlose Autos werden die Erfolgsstory des Carsharings weiterspinnen: Das Auto wird künftig weniger Privatfahrzeug sein, sondern eine starke Position als Massenindividualverkehrsmittel einnehmen.

Aber auch auf der Langstrecke werden öffentliche Mobilitätsangebote Konkurrenz erfahren durch selbstfahrende Fahrzeuge. Statt zu fliegen oder Stunden in der Bahn verbringen, wird man bequem in extra dafür ausgestatteten Fahrzeugen auch längere Distanzen überwinden. Das Auto wird zum rollenden Bett oder Büro. Jedenfalls aber bietet es mehr Bequemlichkeit und Privatsphäre als Massenverkehrsmittel dies je könnten. Rückblickend wird es verrückt erscheinen, sich eingepfercht in enge Sitze mit unzähligen anderen Menschen nach festgelegten Zeitplänen von Ort zu Ort befördern zu lassen.

Überhaupt wird es künftig kaum nachvollziehbar sein, dass einst die Zeit im Auto mit starrem Blick auf die Straße vergeudet war. Überschlägt man, wie viel Zeit Menschen im Auto zubringen, dann erscheint es als Riesengewinn, diese anders nutzen zu können. Weil wir während der Fahrt künftig im Internet surfen, unsere Lieblingsfernsehserien angucken, lesen oder uns in Ruhe mit Mitreisenden unterhalten, Besprechungen oder Telekonferenzen abhalten, werden Autos nicht mehr bloß Transportmittel sein, sondern weiterer Lebens- und Wohnraum. Weil der Fahrer zum Passagier wird, ist Fahren nicht länger bloß Mittel zum Zweck. Nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ wird es zur erlebnisgetriebenen Aktivität.

Wie auch sonst kein Ort des Medienkonsums von Werbung verschont bleibt, wird die Werbewirtschaft auch auf den Zug fahrerloser Autos aufspringen. So wie uns Werbebotschaften über Plakatwände an Flughäfen oder Monitore in U-Bahnen erreichen, so wird Werbung auch ins Innere autonomer Fahrzeuge vordringen. Diese wird personalisiert und in ein individuelles Medienprogramm eingebettet sein.

Richtig autonom werden Fahrzeuge aber erst dann, wenn sie uns nicht nur von Ort zu Ort kutschieren, sondern auch Erledigungen abnehmen. Ist es denkbar, dass in Zukunft Autos Einkäufe tätigen, Wäsche aus der Reinigung abholen oder das Take-out Dinner nach Hause bringen? In einer noch ferneren Zukunft müssen sie dazu nicht mal mehr vom Autobesitzer geschickt werden, Autos kommunizieren dann direkt mit Supermarkt, Wäscherei und Restaurant und machen sich auf den Weg, sobald sie die Information erhalten, dass die Bestellung abholbereit ist. Einen drastischeren Spurwechsel könnten Autos wohl kaum hinlegen: vom fahrbaren Untersatz zum Butler.

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