Überredungskünstler


Auf seine Entscheidungsfreiheit hält der Mensch große Stücke. Im Umgang mit Technologie sind wir jedoch oft weniger frei als wir meinen.


Mai 2015



Die Grundlage politischer, sozialer und kommerzieller Macht liegt seit jeher in der Fähigkeit begründet, Menschen zu bestimmten Ansichten, Einstellungen oder Verhaltensweisen zu verleiten. In unserer digitalisierten, technisierten Welt leisten nun auch Maschinen „Überzeugungsarbeit“. Bediente sich HAL 9000, der fiktive Computer in Arthur C. Clarkes „Space Odyssey“ Serie, noch schlichter Gewalt, um seinen Willen durchzusetzen, so sind es heute eher subtilste Lockungen, mit denen Technologie den Menschen zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen bewegen will.

Neue Erkenntnisse der Psychologie und Verhaltensökonomie darüber, wie Menschen Entscheidungen treffen, kombiniert mit digitalen Technologien, Social Media und Smartphones liefern Designern von Webseiten, Apps, und vielen anderen Produkten die Grundlagen dafür, die raffiniertesten persuasiven Technologien zu entwerfen. So werden aus Unternehmen, die einst schlicht Produkte erzeugten oder Dienstleistungen erstellten, heute Manipulatoren, die sich das Wissen um Gewohnheiten und die Psychologie ihrer Kunden zunutze machen.

Wenn Computer Benutzern zum Beispiel immer wieder Registrierungserinnerungen oder Sicherheitshinweise vorsetzen, die nahelegen, Sicherheitsupdates zu installieren, dann sind persuasive Technologien am Werk. Auch Webseiten sind heute vielfach so gestaltet, dass sie nicht nur hübsch anzusehen sind und nutzerfreundlich funktionieren, sie sollen auch abhängig machen. Das Design zielt darauf, den Nutzer in einen Kreislauf zu ziehen, der unverbindliche Aktionen in einen unwiderstehlichen Drang verwandelt. So zielt etwa das Reiseportal Expedia mit seinem Webseitendesign darauf, Kunden zur täglichen Wiederkehr zu bewegen. Aber auch Seiten wie Facebook und Twitter enthalten Elemente, die den Nutzer immer wieder auf die Seite zurückbringen. Im Gesundheitsbereich gibt es viele Apps, die das Nutzerverhalten zu beeinflussen suchen, indem sie etwa Gewichtsverlust oder das Überwinden von Abhängigkeiten unterstützen oder Schlafgewohnheiten ändern.

Die Idee, dass Computer, Mobiltelefone, Webseiten und andere Technologien Einfluss auf menschliches Verhalten nehmen, geht zurück auf den Stanford-Professor B.J.Fogg, der bereits in den 1990er Jahren den Begriff „persuasive computing“ (später erweitert zu „persuasive technology“) prägte, um technische Artefakte zu beschreiben, die gezielt mit der Absicht entworfen werden, das Verhalten der Nutzer zu verändern. Modellhaft beschrieb Fogg, dass ein bestimmtes Verhalten das Resultat aus dreierlei gleichzeitig auftretenden Faktoren ist: einem Trigger (ein Impuls muss jemanden dazu bringen, etwas zu tun), Motivation (jemand muss einen Grund haben, etwas zu tun) und Fähigkeit (jemand muss das Gefühl haben, etwas schaffen zu können).

Angesichts der Fülle an Informationen, die Tracking Technologies heute zutage fördern und des wachsenden Geschicks von Unternehmen, Verhalten zu beeinflussen, brennt eine Vielzahl ethischer Fragen unter den Nägeln. Zumal die in der Technologie steckende Überzeugungskraft heute oftmals derart gut gestaltet ist, dass sie unsichtbar wird. Wo verläuft die Grenze zwischen Überzeugung und Manipulation? Was sind die langfristigen Wirkungen solcher Anwendungen? Immer sollte die Frage gestellt werden, wer eigentlich die Überzeugungsarbeit hinter den persuasiven Technologien leistet. Denn Nutzer können sich freiwillig auf die Technologien einlassen oder unwissentlich damit konfrontiert sein. Und es ist letzteres, das Kopfzerbrechen bereitet, noch mehr, wenn nicht Individuen, sondern ganze Gruppen Ziel der „Überzeugungsarbeit“ sind.

f/21 Quarterly liefert Ihnen 4-mal jährlich frisches Zukunftswissen direkt in Ihr Postfach.
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos!