Babelfisch


Maschinelle Übersetzung macht riesige Fortschritte. Steht das Ende der Babylonischen Sprachverwirrung bevor?


Mai 2016



Der Babelfisch, ein fiktives Lebewesen aus Douglas Adams‘ Roman “Per Anhalter durch die Galaxis“, ist ein universeller Übersetzer, der Sprachgrenzen zwischen allen Spezies überbrückt: Im Ohr sitzend nimmt der Babelfisch Worte auf, übersetzt sie in die Sprache seines Trägers und sendet das Übersetzungsergebnis mittels Telepathie direkt in dessen Gehirn. Adams wiederum lehnte sich in der Namensgebung an die Babylonische Sprachverwirrung als mythologische Deutung des Ursprungs der Vielfalt der Sprachen an.

Eine Sprache zu verstehen, ohne sie gelernt zu haben, ist ein alter Menschheitstraum und mit der rasanten Entwicklung der Maschinenübersetzung scheint ja tatsächlich der Weg zur Erfüllung dieses Traums geebnet. Schon bald ist daher der Babelfisch, dieses faszinierende Werkzeug aus dem Fundus der Science Fiction, zum Symbol für maschinenbasierte Übersetzungssysteme geworden. Waren deren Übersetzungsergebnisse der Anfangszeit höchstens für ein Schmunzeln gut, so sind die Systeme heute doch eine große Hilfe im Umgang mit fremdsprachigen Texten – auch wenn die Übersetzungstools oftmals immer noch zu wünschen übrig lassen: zu inakkurat sind die Ergebnisse. Ist es angesichts des rasenden technischen Fortschritts nun aber denkbar, dass wir schon bald über eine Technik verfügen, die jedermann seinen persönlichen Simultandolmetscher zur Seite stellt? Alec Ross, ehemaliger Innovationsstratege im US-Außenministerium, prophezeit das Fallen aller Sprachgrenzen innerhalb der nächsten zehn Jahre. Bewerkstelligt werden soll dies durch ein dem Babelfisch nachempfundenes kleines Gerät, das man im Ohr trägt und das einem beinahe simultan – einzig die Schallgeschwindigkeit bedingt Verzögerungen – in der eigenen Muttersprache zuflüstert, was in der Umgebung gesprochen wird. Für Ross ist es nur eine Frage der Zeit – sowie der Rechenkraft, verfügbarer Datenmengen und der Qualität der Software – bis die Übersetzungsprogramme Sprache bis ins kleinste Detail in den Griff bekommen. Zudem müssten wir uns dann nicht länger mit einer eintönigen Computerstimme zufrieden geben, weil auch hier die Technik Neues auf Lager hat: In Zukunft werde es möglich sein, durch Messung der Frequenz, Wellenlänge, Lautstärke und anderer Merkmale die Stimme des Sprechenden nachzuempfinden.

Das Ende der Sprachverwirrung ließe die Welt noch enger zusammenrücken. Während die Globalisierung bisher wesentlich durch die Wahl von Englisch als lingua franca angetrieben wurde, so gäbe es für eine gemeinsame Sprache keine Notwendigkeit mehr, trüge jeder seinen Babelfisch im Ohr. Möglicherweise erhielte die Globalisierung einen neuerlichen Schub, könnte jeder mit jedem mit Leichtigkeit konversieren. Auch Sprachbarrieren anderer Art sieht Ross durch Technologie fallen: Millionen von Menschen mit Gehörschäden oder Sprachstörungen könnten von einem Babelfisch profitieren.

Die Vorteile, die sich durch eine solche Technologie ergäben, liegen auf der Hand. Aber wird die Technik jemals soweit sein? Bei genauer Betrachtung sind das Verständnis menschlicher Sprache sowie deren Übersetzung in andere Sprachen recht komplexe Leistungen: Es geht um weit mehr als von der Ausgangs- in die Zielsprache Wort für Wort zu ersetzen. Der (menschliche oder maschinelle) Übersetzer muss Grammatik, Syntax und Semantik beherrschen und vertraut sein mit der jeweiligen Kultur. Höchst fraglich ist zudem, ob Maschinen jemals in der Lage sein werden, Ironie zu deuten, Redewendungen richtig zu verstehen, den Tonfall passend einzuordnen oder sprachgeschichtliche Hintergründe zu berücksichtigen. Und wenn all dies fehlt – ist die Sprachverwirrung dann nicht erst recht perfekt?

Mit dem Babelfisch wollte Douglas Adams die Merkwürdigkeit der Science-Fiction-Literatur parodieren, dass sämtliche intelligente Lebensformen auf wundersame Weise Englisch verstehen und sprechen können. Was wäre das für eine Welt, in der niemand mehr eine Fremdsprache lernt, in der Sprache auf Einheitsmaß gestutzt wird und ohne das ihr eigene kulturelle Kolorit auskommen muss? Wäre die Welt nicht ein Stückchen ärmer, verschwände die stets als „Sprachbarriere“ gebrandmarkte Sprachenvielfalt?

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