Highscores statt Zeugnissen


Galten bislang Assessment Center als Nonplusultra der Personalauswahl, so laufen ihnen neuerdings Recruiting Games den Rang ab. Führen künftig Highscores statt guter Zeugnisse zum neuen Job?


Mai 2016



Die US-Armee brachte 2002 den Stein ins Rollen: Im Videospiel „America’s Army“ stellen sich Nachwuchskräfte den Herausforderungen der modernen Kriegsführung. Wer in dem Shooter-Game durch Reaktionsschnelligkeit, vernetztes Denken und Technikaffinität auffällt und gut abschneidet, erhält eine Einladung zum Vorstellungsgespräch.

Immer öfter schlagen auch Unternehmen den spielerischen Weg der Rekrutierung neuer Mitarbeiter ein. Dabei wird eine Kombination aus Wissenstest, Assessment Center und jobspezifischen Aufgaben als Spiel verpackt und im Internet zur Anwerbung vielversprechender Mitarbeiter genutzt. Schon dieser Schritt entfaltet Werbewirkung: Das Spiel soll auf das Unternehmen als Arbeitgeber aufmerksam machen und es dabei als fortschrittlich und am Puls der Zeit darstellen sowie eine junge, mit Videospielen sozialisierte Generation ansprechen.

Ausgereifte Recruiting Games können jedoch mehr: Sie sind der erste Schritt in der Personalauslese, denn Bewerber stellen im Spiel ihr Wissen und ihre Eignung unter Beweis. So ließ etwa die französische Eisenbahngesellschaft SNCF in „The Most Serious Game Ever“ Nachwuchsingenieure Zugprototypen entwickeln, U-Bahn-Netze entwickeln, Fahrpläne optimieren und vieles mehr. Von den 5000 Teilnehmern schafften 17 die kniffligen Aufgaben und erhielten ein Jobinterview. Zehn davon wurden eingestellt. Der britische Geheimdienst GCHQ suchte Code-Knacker, indem er die Recruitingseite seines Internetauftritts verschlüsselte und nur denjenigen Zugang gewährte, die den Code knackten. Die erfolgreichen Hacker wurden dann aufgefordert, eine formale Bewerbung zu schreiben.

Dieses Beispiel zeigt schon, worum es bei Recruiting Games auch stets geht: Effizienz. Denn das Aussieben von Bewerbern im Spiel erspart den Personalabteilungen der Unternehmen enorm viel Aufwand. Nicht nur hat man es mit weniger Bewerbungen zu tun, auch steigt die Qualität des Bewerberpools. Denn Recruiting Games haben immer auch die Funktion eines Selbsttests. Bewerber setzen sich im Spiel aktiv mit Unternehmen und Job auseinander. Im Spiel lässt sich der Arbeitsalltag durchleben, Bewerber gewinnen Einblicke, können in das Jobszenario eintauchen und finden heraus, ob sie sich für den Job eignen, ob ihnen das betriebliche Umfeld zusagt. Auf diese Weise werden bereits vor der Bewerbung falsche Erwartungen zerstreut. So konnte etwa der französische Postdienstleister Formaposte mit Hilfe von „Facteur Academy“ die Abbruchquote in der Postboten-Ausbildung senken. Im Spiel durchlaufen Interessierte eine typische Woche eines Auszubildenden und werden erst nach erfolgreichem Absolvieren der kompletten Spielwoche zum Bewerbungsformular weitergeleitet.

Es war immer die Crux sämtlicher Methoden der Personalauswahl, Soft Skills und Persönlichkeit des Bewerbers ausreichend kennen zu lernen. Hierbei könnten Recruiting Games, die sich an online Games im Mehrspieler-Modus orientieren als Vorbild erweisen. Im Zeitalter des Teamworks werden solche Spiele, in denen der Schlüssel zum Erfolg meist in der erfolgreichen Gruppenbildung und -zusammenarbeit liegt, Recruitern tiefere Einblicke in Bewerber geben als es Vorstellungsgespräche und Assessment Center je vermögen: Sind Spieler bereit Führung zu übernehmen und lassen sie sich führen? Weiß ein Spieler, wo seine Stärken liegen und setzt er sie entsprechend ein? Ist jemand konfliktfähig und wie werden Unstimmigkeiten gelöst? Braucht es künftig also neben guten Zeugnissen auch Highscores für den Weg zum Traumjob?

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